Eine vergleichsweise unkomplizierte Etappe führt uns nach Lugo, der ersten großen Stadt auf unserem Weg. Wir bekommen Sommertemperaturen und Großstadtfeeling und Stefan einen neuen Wanderstock.
Die Nacht in Castroverde ist eine einzige Katastrophe, um es mild auszudrücken. Alle paar Minuten weckt mich die Kälte und als wäre das nicht schon genug, pikst mir die durchgelegene Matratze auch noch ihre stahlharten Federn in den Rücken.Um sechs Uhr klingelt der erste Wecker, doch ich bin schon lange wach und fühle mich beim Aufstehen total gerädert. Wir packen unsere Sachen zusammen und machen Kaffee. Frühstück gibt es nur im Dunkeln, weil das Licht im Essraum nicht funktioniert. Gegen 8 Uhr geht es los Richtung Lugo, im Nebel, der uns einige Stunden begleiten würde.Diesmal sind die Strecken tatsächlich angenehm, es geht nur leicht bergauf und bergab, doch durch den Nebel ist die Luft extrem feucht und die Sicht eingeschränkt. Die Strecke kommt mir entgegen, denn ich fühle mich so kraftlos wie seit Tagen nicht. Zum Glück haben wir vor zwei Tagen in einem Anfall von Panik, dass in Lugo alles voll sein würde – es ist die erste richtig große Stadt auf dem Weg – bereits ein Hotelzimmer gebucht. Wenigstens um fehlende Decken muss ich mir heute keine Gedanken machen.
Irgendwann nach Mittag und nach etwa 15 Kilometern machen wir eine Pause auf zwei Steinen in einem Dorf mitten im Nirgendwo. Keine Bank, keine Mauer und keine Bushaltestelle bieten sich uns zum Sitzen an, da muss man improvisieren. Danach geht es weiter durch Dörfer und über Feldwege, an kleinen Eulenstatuen und den berühmten Camino-Hunden vorbei und es kommt auch endlich die ersehnte Sonne heraus, um uns ein bisschen aufzuwärmen.
Wir laufen über die ersehnte Brücke nach Lugo, inzwischen sieht es hier aus wie in der Wüste. Überall Sand, ein paar Sträucher – wäre da nur nicht die Autobahn. Die letzten Kilometer ziehen sich ewig hin, obwohl wir die Stadt schon sehen können – Lugo ist die erste richtig große Stadt mit Zivilisation auf dem Camino.Wir laufen durch kleine Vororte und irgendwann hören wir von der Seite einen Mann rufen. Er sitzt auf seinem Trecker mitten auf einem kleinen Feld und fragt uns, woher wir kommen und welchen Weg wir laufen. Als wir ihm erzählen, dass wir aus Deutschland sind, ist er begeistert und versucht ein paar Brocken auf Deutsch zu sagen. Er erzählt, er habe ebenfalls Vorfahren aus Deutschland. Nach einem kurzen Plausch nähern wir uns dem Stadtrand und bemerken dort schon die Unruhe und den Lärm der Großstadt.
Die Stadt liegt etwas höher, sodass wir noch einmal bergauf müssen. Plötzlich sind wir umgeben von hektischen Menschen und lärmenden Autos, der Geruch von Abgasen und der Staub der Stadt hüllen uns ein. Nach so vielen Kilometern in der Natur und ohne richtige Zivilisation ist das ganz schön irritierend. Wir laufen zu unserem Hotel und sind froh, dass wir nicht in der staatlichen Herberge unterkommen müssen. Unser Hotelzimmer hat alles, was man braucht: Ruhe, ein großes Bett, einen Fernseher und sogar eine Loggia, wo wir unsere Klamotten auslüften lassen.Es ist erst 14 Uhr und so beschließen wir, bei Sommertemperaturen von 25 Grad die Stadt zu erkunden – wir sind ja erst 23 Kilometer gelaufen. Auf dem Weg in die Innenstadt, durch die Burgmauern, entdecken wir einen Gehstock, der wie gemacht für Stefan ist und nur acht Euro kostet. Wir schauen uns zunächst in der Stadt um und suchen nach dem Informationszentrum.
Da wir kurz vor der Siesta loslaufen, schließen die meisten Läden und wir kriegen gerade noch so etwas zu trinken. Nach dem Informationszentrum besuchen wir die Kathedrale und laufen an der Römischen Stadtmauer entlang. Endlich kriege ich auch mein vor Tagen versprochenes Eis von Stefan. Wir gehen einkaufen und vertreiben uns dann im Hotel die Zeit, bis die Läden wieder aufmachen.
Foto: Pablo Valerio // CC0 1.0
Ich bekomme richtig Lust auf Tapas, wenn wir die nicht in Lugo finden, wo denn dann? Das denke ich mir zumindest, in der Realität sieht es aber ganz anders aus. Wir laufen stundenlang durch die Innenstadt, die Restaurants füllen sich, doch nirgends eine Tapas Bar in Sicht. Da ich immer hungriger und genervter werde, beschließen wir kurzerhand, uns einen Döner zu holen. Ja ich weiß, Döner auf dem Camino, das klingt so gar nicht kulinarisch. Aber man wäre überrascht, was Hunger alles bewirken kann. Der Döner ist jedenfalls ziemlich mager und dient nur dazu, neue Energie zu bekommen.
Auf dem Rückweg zum Hotel setzen wir uns noch in eine Bar, wo wir dann getreu nach Murphy’s Gesetz die ersehnten Mini Tapas sogar umsonst bekommen. Das ist wie ich finde eine ganz tolle Sache, denn in den meisten kleineren Läden bekommt man zu einem Getränk immer etwas Kleines zum Essen dazu und das auch noch kostenlos. Ist man als Pilger unterwegs, bekommt man schnell auch mal die doppelte Portion.
Foto: Richard Eisenmenger // CC0 1.0
Etwas besänftigt gehen wir zurück ins Hotel, machen den Fernseher an und ich bemühe mich, etwas in mein Tagebuch zu schreiben. Das hat die letzten Tage nicht mehr so gut funktioniert, denn mein Körper hat sich nach den Etappen vehement gegen alles gewährt, was Energie und Konzentration erfordert. Der Camino Primitivo ist wirklich alles andere als ein Zuckerschlecken.
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