Johanna glaubte lange zu wissen, was ihr im Leben wichtig sei: Ein sicherer Job, ein guter Verdienst und irgendwann einmal Eigentum – ein Haus oder eine Wohnung. Dann wurde ihr Sohn geboren und ihre Prioritäten verlagerten sich. Anfang 2018 wird sie mit ihrer Familie in die weite Welt ziehen – wahrscheinlich als erstes nach Indien.
Meine Vorstellung vom Leben
Ich habe ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Notenschnitt 1,46, darauf war ich sehr stolz. Wenn mich jemand gefragt hat, was ich damit nach dem Studium machen will: „Ich suche mir einen Job, der mir Spaß macht und bei dem ich viel Geld verdiene.“ Denn eines war für mich sonnenklar: Ich möchte in meinem künftigen Leben acht Stunden am Tag arbeiten und danach meine Freizeit genießen. Mir mit dem Geld, das ich verdiene, etwas aufbauen. Ein Haus vielleicht oder eine Wohnung. Auf jeden Fall etwas für’s Alter zurücklegen. Mein Mann, im Studienabschluss nicht ganz so erfolgreich, im Job dafür umso mehr, sah das ähnlich.
Wie unser Sohn uns Achtsamkeit lehrte
Das war, bevor wir Eltern waren. Mitte 2015 wurde unser Sohn geboren. Schon während der Schwangerschaft wurde uns klar, dass ich nicht nach ein, zwei oder drei Jahren an meinen Vollzeit-Arbeitsplatz im Vertrieb zurückkehren würde. Unser Sohn sollte eine Mutter haben, die auch für ihn da sein kann. Also begannen wir, von einer Selbständigkeit im Internet zu träumen. Einen Blog hatte ich ja bereits und wir wussten, dass man damit auch Geld verdienen kann.
Dann wurde unser Sohn größer, und wir stellten fest, dass uns auch das nicht reichte. Unser Sohn sollte nicht nur eine Mutter haben, die verfügbar ist, sondern auch einen Vater. Und sein Vater wollte auch von ihm etwas haben, von seiner Kindheit. Wir wollten nicht so viele Stunden am Tag voneinander getrennt sein, wir wollten zusammen sein. Als Familie. So brodelten die Gedanken in uns, viele Monate lang. Jede freie Minute verbrachten wir zu dritt.
In diesen wertvollen Stunden zeigt uns unser Knirps immer wieder so vieles, was wir längst vergessen hatten: Die Faszination einer Schnecke oder eines Kieselsteins, die pure Freude über die Anwesenheit anderer Menschen, das Gefühl von absoluter Geborgenheit und Zufriedenheit im Hier und Jetzt. Wir lernten, dass all das Geld, das wir verdienen, uns nicht einen dieser kostbaren Momente zurückkaufen könnte. Es gibt etwas in unserem Leben, das so viel kostbarer ist, als Geld: Zeit. Gemeinsame Zeit.
Wie unser Sohn uns Minimalsimus lehrte
Gleichzeitig führte unser Kind uns vor Augen, wie unwichtig materieller Luxus ist. Ich spreche nicht von einem gewissen Grundstandard, von einem Dach über dem Kopf, genug zu essen und anzuziehen und ein wenig Spielzeug oder Technik. Ich spreche von Luxus, von einem Zuviel an Dingen. So viele Jahre waren wir der Vorstellung hinterhergelaufen, dass ein Leben mit viel Geld nach dem Studium winken würde und dass uns das zufrieden machen würde. Dass auch ein Kind viel kosten würde und viele Dinge zusätzlich benötigen würde. Doch die Realität ist, dass die Dinge, die er wirklich braucht, recht überschaubar sind. Und was ihn neben einer Grundausstattung glücklich macht, ist vor allem die Zeit mit anderen Menschen. Mit seinen Eltern, Großeltern, Onkels und anderen Kindern. Zeit, in der er einfach unbesorgt spielen und lernen, toben und lachen kann. Und wir haben festgestellt, dass uns als Eltern eigentlich dasselbe erfüllt: Wenn wir zusammen sein können und es ihm gut geht. Dann geht es auch uns gut.
Schließlich wurde der Plan für uns immer klarer: Wir wollen raus. Aussteigen aus der Norm, aus dem, was viele für richtig oder erstrebenswert halten. Auf das Zuviel an Materiellem können wir verzichten. Vielmehr noch: Durch den Prozess des Ausmistens und Loslassens fühlten wir uns viel freier, viel fokussierter auf das Wesentliche.
Meine Vorstellung vom Leben 2.0
Im Gegenzug brauchen wir jetzt erheblich weniger Geld und müssen viel weniger dafür arbeiten. Auch den 8-Stunden-Tag in einer Festanstellung lassen wir hinter uns und tauschen ihn gegen eine Selbständigkeit ein – etwas, das ich mir früher nie hätte vorstellen können. Das Besondere an dieser Selbständigkeit wird sein, dass wir von überall aus arbeiten können. Ortsunabhängiges Einkommen nennt man das. Damit können wir uns gleichzeitig einen Herzenswunsch erfüllen: Seit ich meinen Mann kenne träume ich davon, mit ihm gemeinsam im Ausland zu leben.
Sein aktueller Arbeitsvertrag läuft noch bis Ende 2017. Weil er gut verdient und wir sehr minimalistisch leben, haben wir bis dahin für mindestens ein Jahr Geld gespart. Weil wir jetzt ein Kind haben und auch Verantwortung tragen, haben wir ein separates Konto, auf dem genug lagert für eine Rückkehr in ein Leben mit festem Wohnsitz. Denn den haben wir bereits letzten Monat aufgegeben. Unsere Wohnung mit allen Möbeln und dem meisten Inventar wie Geschirr, Handtücher, Werkzeug, und was man eben alles so hat, haben wir meinem kleinen Bruder geschenkt, der zufällig zeitgleich seinen ersten eigenen Hausstand gründen wollte. Mit den verbleibenden Koffern und Umzugskisten sind wir für sechs Monate im Haus meiner Eltern auf dem Land untergekommen. Mein Mann arbeitet wochenweise abwechselnd von hier bzw. im Büro in Berlin – um ab 2018 endgültig bei uns zu bleiben.
So soll es für uns weiter gehen
Anfang 2018 packen wir dann unsere Koffer und machen uns auf in die Welt. „Wohin?“ fragen jetzt die meisten. Wann genau wollt ihr los? Wo wollt ihr bleiben? Wir wissen es noch nicht. Möglicherweise wird uns die Reise zunächst nach Indien führen, denn von dort stammt der verstorbene Vater meines Mannes und dort hat er die ersten drei Lebensjahre verbracht – an die er jetzt keinerlei Erinnerung mehr hat. Wir wollten schon lange gemeinsam dorthin. Auf jeden Fall soll unser Weg nach Bali und / oder Thailand führen. Hier gibt es viele Familien wie uns. Digitale Nomaden heißen wir dann.
Wenn wir einen Ort gefunden haben, wo wir uns wohl fühlen, möchten wir dort bleiben. Gemeinsam Zeit verbringen, mit anderen Menschen, die ähnlich leben, eine Gemeinschaft bilden, ankommen. Wie lange wir dann bleiben? Monate, oder vielleicht Jahre. Das lassen wir ganz bewusst offen. Denn natürlich sind wir nicht so blauäugig, ein Scheitern auszuschließen. Niemand von uns hat so etwas vorher gemacht, deshalb können wir nicht wissen, ob die Realität an unsere Träume heranreichen wird. Doch was soll im allerschlimmsten Fall passieren? Wir haben einen längeren Urlaub hinter uns, kommen zurück nach Deutschland, suchen uns wieder eine Wohnung und einen Job oder arbeiten von hier aus. Zu verlieren haben wir nichts, zu gewinnen dagegen so viel.
Schon allein, weil wir dann einen Traum weniger haben, von dem wir nur träumen – wir haben ihn gelebt.
Wissenswertes
Ihr könnt gar nicht genug von Johanna lesen? Super, dann gehts hier entlang: Auf ihrem Familienblog Rubbelbatz könnt ihr ihren ganz persönlichen Weg in den nächsten Jahren mitverfolgen. Außerdem schreibt sie auf ihrem zweiten Blog Sonnengeflecht über verschiedene Themen zu körperlicher und seelischer Gesundheit. Gesunde Ernährung, Histaminintoleranz und Östrogendominanz – zwei komplizierte Zustände, unter denen sie zeitweise zu leiden hat – sind ebenso Thema wie systemische Familienaufstellung oder die Suche nach Glück. Schaut mal vorbei!