Ein Hoch auf die Nebensaison – oder doch nicht?- Der Camino Primitivo Etappe 2 – Grado bis Salas -


Auf der zweiten Etappe des Camino Primitivo bewältige ich knapp 25 Kilometer, die zwar anstrengend sind, aber sich gut bewältigen lassen. Der Tag beginnt mit einem guten Frühstück und endet mit einer frostigen, einsamen Herberge und ich merke, dass ich eine ganz entscheidende Sache vergessen habe.

Ohne Wecker wache ich gegen 7:15 Uhr in meinem Stockbett im kleinen Städtchen Grado auf, mit heftigstem Muskelkater in den Beinen, ach was, überall. Die meisten Pilger packen schon ihre Sachen oder sitzen unten am Frühstückstisch, während ich im Bett liege und mich frage, wie wir bloß auf diese blöde Idee gekommen sind, zu laufen (ich glaube aber das ist normal in den ersten Tagen).

Unten gibt es Kaffee, Toast und Eier, sogar ein Lunchpaket dürfen wir mitnehmen. Das alles gegen eine Spende zu bekommen, ist wahnsinnig großzügig und ich bin sehr dankbar für diese erste positive Erfahrung auf dem Camino. Einer nach dem anderen läuft hinaus in die Morgendämmerung, dabei immer mit einigen Minuten Abstand, damit man nicht zu sehr zusammen läuft.

Wahrscheinlich ein großer Unterschied zu den anderen Pilgerwegen: Es scheint, als würden die meisten hier nicht laufen, um Menschen kennenzulernen, so wie man es aus den vielen Filmen kennt, sondern um für sich zu sein und die Natur zu genießen. Und wir haben keine Ahnung, ob wir auch nur einen von ihnen je wieder treffen würden.

Da wir scheinbar als einzige keine Wanderstöcke haben, fragen wir bei der Herbergsdame nach, ob wir die dort gebliebenen Holzstöcke mitnehmen dürfen. Glücklicherweise sind genau zwei da, die noch heile sind und so haben wir gleich zwei neue Begleiter gefunden. Wer sich fragt, was aus Stefans Rucksack geworden ist: Nein, wir haben ihn nicht genäht. Erstaunlich wie belanglos manche Sachen werden, wenn man erschöpft ist. Wir haben die beiden kaputten Enden notdürftig zusammengebunden, sodass er hält, aber total schief ist. Achtung Spoiler: Dass er so den gesamten Weg gelaufen ist, dürfte man eigentlich niemandem erzählen, weder Pilger noch Arzt noch Profi-Sportler. Die würden uns wohl alle den Vogel zeigen.

Kurz vor 9 Uhr, für Pilger schon ziemlich spät, laufen wir los, die Sonne begleitet uns den ganzen Tag. Der Weg hat es in sich: Hoch, runter, wieder hoch, wieder runter, Steine, Wasser, noch mehr Steine, Sand, Matsch, wieder hoch. Der Camino Primitivo zeigt am zweiten Tag kein Erbarmen. Es kommt mir vor, als wären wir unglaublich langsam, durch das ständige „Klettern“ – manche Anstiege sind wirklich so steil, dass man nur im Schneckentempo voran kommt – ziehen sich die Kilometer wie Kaugummi. Nun verstehe ich auch, warum alle gesagt haben, 30 Kilometer auf dem Francés sind wie 20 Kilometer auf dem Primitivo. Prost Mahlzeit!

Endlich kommen wir gegen 17:30 Uhr und nach knapp 25 Kilometern in Salas an und, wie sollte es anders sein, es fängt an zu regnen. Salas ist ein hübsches kleines Städtchen, mit kleinen Cafés, Kneipen und einer kleinen Altstadtmitte mit Kirche. Zwar hatten wir uns vorher aus unserem Pilgerführer drei Herbergen herausgesucht, müssen jedoch vor Ort enttäuscht feststellen, dass zwei davon im April gar nicht geöffnet haben. Also bleibt nur die dritte, die zum Glück direkt in der Stadtmitte liegt. Mit 12 Euro pro Bett ist sie etwas teurer, dafür haben wir aber eine Küche und ein tolles Gemeinschaftsbad zur Verfügung. Die Betten sind noch sehr neu, es gibt genug Wolldecken – übrigens eine ganz wichtige Sache, denn wenn man nicht im Sommer läuft, wird in den Herbergen nicht geheizt und da wir naiverweise nur dünne Baumwoll-Inlays mithaben und keine richtigen Schlafsäcke, sind wir auf die dortigen Decken angewiesen.

Viel später stößt auch die Russin, die „blaue Frau“, zu uns und mehr sollen wir nicht werden. Was für ein Abschluss für den zweiten Tag! Eine komplette Herberge zu dritt zu haben, davon hat Hape Kerkeling* sicher nur geträumt. Ein kleiner aber wirklich schöner Vorteil in der Nebensaison auf einem Weg zu laufen, den sich keiner traut.

Nachdem wir unsere Quartiere eingerichtet haben, gehen wir zum allerersten Mal ein Pilgermenü essen. Die sind berühmt berüchtigt auf dem Jakobsweg, denn man bekommt gleich drei Gänge plus Wein und Wasser für einen wirklich guten Preis. Die Herbergsdame gibt eine Empfehlung heraus, doch der Laden wirkt von außen ein bisschen wie eine etwas siffige Stammkneipe. Drinnen sitzen ein paar finster dreinschauende Männer, vielleicht auch schon ein wenig betrunken. Na, das kann was werden, denke ich mir. Wir bestellen zwei Menüs, die Portionen sind okay, doch Wein gibt es leider nicht. Also beschließen wir, ein Mahou zu trinken, ein spanisches Bier. Das schmeckt überraschend gut und überdeckt ein wenig die Enttäuschung über das doch sehr gewöhnliche Ein-Gang-Menü.

In der Dämmerung kehren wir zur Herberge zurück und machen es uns gemütlich. Leider spricht unsere Russin kein bisschen Englisch, sodass wir uns nicht wirklich unterhalten können. Erst jetzt bemerke ich, dass die Herberge nicht beheizt ist – also schnappe ich mir gleich drei Wolldecken und ziehe sogar meine Fleecejacke an. Trotz allem wache ich jedoch mehrmals in der Nacht auf, zitternd und fröstelnd. Da muss man wohl durch, wenn man als Pilger im April unterwegs ist und kein Geld für ein Hotel hat oder haben will in diesem Fall. Lernt also aus meinem Fehler: Abseits der Saison unbedingt einen dünnen richtigen Schlafsack mitnehmen.

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