Fisch stinkt, wenn er fault- Auf dem Russian Market in Phnom Penh -


Wer heute nach Pnomh Penh reist, findet zunächst eine moderne asiatische Großstadt vor: Mit goldenen Tempeln, großen Sportautos und amerikanischen Fastfood-Ketten. Eine zehnminütige Tuk-Tuk-Fahrt eröffnet eine andere Perspektive: Auf dem Markt herrschen auch mehr als 30 Jahre nach Beendigung der Roten-Khmer-Herrschaft noch ärmlichste Verhältnisse.

Als die kleine zierliche Frau ihr Beil hebt und kräftig zuschlägt, hat die Totenstarre bei ihrem Opfer längst eingesetzt. Platsch macht es, als der Kopf im Matsch landet. Blut spritzt hervor und auch die Bananen am Nachbarstand kriegen ein paar Tropfen ab. Der Fisch stinkt. Die kleine Frau lächelt. Und legt das Beil neben ihren nackten Füssen zur Seite.Phnom Penh, gerade noch aus der Gewaltherrschaft der Roten Khmer befreit, ist heute für kambodschanische Verhältnisse eine moderne Stadt mit zwei Millionen Einwohnern. Längst schon reihen sich amerikanische Fast Food Ketten ganz selbstverständlich am Preah Sisowath Quay auf, an einer der Hauptverkehrsstraßen der Stadt direkt am Tonlé Sap. Für die hippe Jugend gibt es stylische Cafés, in denen junge Khmer den Mädchen schöne Augen und leckeren Karamell-Macchiato machen. Historische Sehenswürdigkeiten, ausgeprägtes Nachtleben und Restaurants, die für wenig Geld qualitativ hochwertiges Essen anbieten, haben die Stadt neben den Heiligen Stätten in Angkor zum wichtigsten touristischen Ziel Kambodschas gemacht.„Charming City“, den Namen haben sich kluge Marketing-Experten mit rotem Schlips und edlem Anzug in einem der großen hellen Bürobauten für die Stadt ausgedacht, und wer das nicht weiß, wird spätestens beim Eintritt ins Zentrum mit großen Lettern darauf hingewiesen. Menschen wuseln durch die Straßen der Hauptstadt. Kinder spielen mit einer leeren Cola-Flasche Fußball, ein Mann verkauft Teigtaschen an einem Straßenstand.

„You wanna go to Russian Market?“ rufen einem die Tuk-Tuk-Fahrer beim Flanieren durch die Stadt zu. Wer das Angebot annimmt und in die leeren Seitengassen voller Wellblechhüten, Plastiktüten und Essensreste abbiegt, entdeckt einen Ort, an dem das Leben der Khmer puristischer nicht sein könnte.

Auf dem Markt Phsar Toul Tom Poung erwartet man Glanz und Gloria vergebens. Stickig ist es hier überall, drinnen düster, draußen unerträglich heiß, überall eng, die vielen Gerüche lassen keinen Platz zum Atmen. Den haben schon Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse eingenommen. Dazu stehen massenhaft alte Schemel herum, umgeben von großen Bottichen, prallgefüllten Plastiktüten, Motorrollern. Und Schweineohren, Vergaserteilen, Duftöl und antike Münzen. Auch Friseure und Garküchen gibt es. Dazwischen hocken Männer und Frauen, einige Mienenopfer, viele Kinder im besten Schulalter unter einem riesigen Areal zerfetzter Sonnenschirme in vergilbten Farben. Wer es sich leisten kann, hat zumindest einen Tisch, auf dem er seine Ware anpreist, viele haben einfach Plastikplanen oder große Blätter als Unterlage ausgebreitet. Reizüberfluss. Es ist laut, viele unterhalten sich, die fremde Sprache macht das Exotische noch fremder.Phsar Toul Tom Poung oder einfacher Russian Market, wie sich der Markt nach den russischen Einwanderer seit den 80er Jahren nennt, verteilt sich auf ein riesiges Areal, zehn Straßen ist es hoch, acht breit. Die Orientierung in Kambodschas Hauptstadt fällt leicht: Wie ein Schachbrett legen sich die Straßen über die Stadt, ungerade verlaufen von Norden nach Süden, Gerade von Osten nach Westen, je höher die Nummern, desto weiter westlich beziehungsweise südlich orientiert man sich. Phsar Toul Tom Poung liegt im Süden der Stadt, zwischen der 155. und 163. Straße.

Die Folgen der Roten-Khmer-Herrschaft sind unverkennbar

Wer hier verkauft, hat Glück gehabt, denn er hat überlebt. Und muss nicht betteln. Er arbeitet auch nicht auf einer Müllkippe, wird nicht versteckt von seinen Verwandten aus Scham über eventuelle Behinderung. Er ist nur traumatisiert, ein vergessenes Opfer eines Krieges, der schon lange beendet ist, sich aber in der Seele des Landes fortsetzt.

Die Mittagssonne brennt. Mitten im Getümmel wäscht eine Frau ein T-Shirt in einer blauen Schüssel voll mit braun-schlammigem Wasser. Zwei kleine Jungen und ein Mädchen tollen um die Stände herum und heben für ein paar Sekunden den ohnehin schon hohen Geräuschpegel noch an, als sie, nur mit einer Windel bekleidet, mit einem Jauchzen in eine große Pfütze springen. Es stinkt, nach Fleisch, nach Fisch, nach Müll und Dreck. Gemüsestrunken liegen im Matsch auf dem Gehweg. An rostigen Haken brät rohes Fleisch vor sich hin.

Der Bürgerkrieg und Massenmord hat seine unscheinbaren Spuren hinterlassen.  Knapp 40 Jahre ist es jetzt her, dass die Rote Khmer mit ihrem Anführer Pol Pott die Herrschaft über Kambodscha übernahm, mit dem Ziel der Errichtung eines kommunistischen Bauernstaates rund zwei Millionen Menschen, also ein Drittel der Bevölkerung, systematisch tötete. Seit der Vertreibung der Roten Khmer durch vietnamesische Truppen erholt sich Phnom Penh stetig. Die Obdachlosen auf der Straße sind verschwunden, und mit ihnen ihre Kühe, Schweine und Hühner. Zurückgedrängt in die Elendsviertel am Rande der Stadt, wo sie unsichtbar bleiben für die Touristen, die dem Land mit ihrem Geld den Weg in die Zukunft ebnen.

Die kleine Frau mit dem toten Fisch kniet jetzt am Boden, so wie es Kinder oft tun. Ihr gelber Hut schützt sie vor der Hitze und dem Staub, in der rechten Hand hält sie noch immer das Messer, die linke steckt in einem gelben Plastikhandschuh, er ist blutverschmiert. Doch die nackten Füße in blauen Flip Flops sind inzwischen von den blutigen Schuppen des Fisches übersät. Rechts vor ihr steht eine alte grüne Waage, links in einem Bottich schwimmen neun weitere Fische ihrer Exekution entgegen. In einer kleinen Schüssel auf dem matschigen Boden sammelt sie die Innereien.

Die Zeit wird die Wunden heilen

Kambodscha ist ein Land auf der Überholspur, auf dem Weg aus der Hölle zurück in die Zukunft, seit internationale Firmen es als Billiglohnland entdeckt haben. Die begangenen Verbrechen sind nie aufgearbeitet worden, kaum einer wurde verurteilt. Die Zeit soll die Wunden heilen, die Vergangenheit wird ausgeblendet. Geblieben ist eine traumatisierte Gesellschaft, in der Gewalt die gängige Lösung für die meisten Probleme ist.

Vor einem riesigen Container am Randes des Marktes fegt eine Frau mit blauem Shirt und blumigen Sonnenhut die stinkenden Überreste aus Fisch, Fleisch, Abwasser und Dreck zusammen. Die Übrigbleibsel des Elends. In einem lichtdurchfluteten Fast Food Restaurant im Zentrum von Phnom Penh bestellt die Jugend zeitgleich Chicken Wings.

Dieser Artikel ist in leicht veränderter Form auf den Portalen von 1und1 (web.de, gmx.net, gmx.at und gmx.ch) erschienen.