„Handle aus dem Herzen, und alles wird gelingen“- Die Magie der Wüste – Im Interview mit Barak von Sahara Yoga -


Barak Oussidi ist ein Brückenbauer zwischen zwei Welten. Er verbindet die Energie der Wüste in seinem Heimatdorf Merzouga mit der Liebe zu seiner zweiten Heimat an der Ostsee.



Aufgewachsen als neunter Sohn einer marokkanischen Nomadenfamilie, verschlug es Barak von den Dünen der Sahara nach Kiel ans Meer. Mit seinem Herzensprojekt Sahara Yoga macht er den Traum vieler Menschen wahr, einmal in die Wüste zu reisen — und in die Weite abzutauchen, die es sonst nirgendwo auf der Welt zu finden gibt. Im Interview berichtet er, wie ihn seine Familie geprägt hat, was hinter Sahara Yoga steckt und warum die Wüste uns mehr über achtsames Reisen lehren kann.

Barak, erzähle bitte etwas über dich: Was macht dich aus?

Der Name Barak bedeutet so viel wie „heilig“. Diese Bedeutung passt zur Intention meines Herzens, denn: ich bin ein Mensch, der immer helfen will und sich um alle anderen kümmert, und dem auch vieles heilig ist. Wie zum Beispiel die Nomadengemeinschaft und meine Familie. Ich bin unter 14 Geschwistern der neunte Sohn. Meine Mutter sagte immer, dass meine Geburt ihr mehr Energie geschenkt als genommen hat.
Obwohl ich nicht der Älteste bin, tue ich alles dafür, dass unsere Familie an einem Ort immer wieder zusammenkommen kann. Wie in Merzouga, unserem Dorf in der Wüste, das mein Vater Hssaïn Oussidi 1949 gründete. Es ist zwar nicht leicht, bei über 54 Nichten und Neffen in einem Haus den Überblick zu behalten, aber mir ist der Zusammenhalt in der Familie sehr wichtig. Gemeinsam pflegen wir Werte, die nicht materiell sind. Wir ehren die Familie.

Erkläre das doch bitte genauer.

Die Liebe in einer Familie ist das stärkste Band. Ich finde, dass jeder Mensch diese Liebe verdient hat. Probleme in Familien kann man immer lösen, wenn man mit Diplomatie, Gerechtigkeit und Harmonie voran geht. Meine Eltern, die beide bereits verstorben sind, haben mich mit diesen Werten geprägt. Und sie begleiten mich für immer, egal, wo ich bin. Sie sind in meinem Herzen präsent. Von ihnen weiß ich: Wenn du aus dem Herzen handelst, dann wird alles gelingen.

Zwischen Merzouga und Kiel liegen knapp 4.000 Kilometer. Was ist in deinem Leben zwischen diesen Welten passiert?

Das Leben hat mich bis heute viel gelehrt. Schon mit 13 bin ich allein aus der Wüste in eine Stadt in Nordmarokko gegangen, um zu arbeiten. 800 Kilometer bin ich gewandert, ganz auf mich gestellt. Dann habe ich mir eine Kiste aus Holz gezimmert und habe auf der Straße Schuhe geputzt, um mir Geld zu verdienen. Mein Traum war es, eines Tages Arzt zu werden und dafür in Kanada zu studieren. Eines Tages putzte ich einem sehr edlen Herrn die Schuhe. Er sagte: Warum machst du das? Du kannst gar nicht Schuhe putzen. Ich erklärte ihm, dass ich Geld bräuchte, um die Schule zu besuchen. Dann machte er mir ein Angebot. Ich spürte irgendwie, dass ich diesem Mann vertrauen konnte. Also stieg ich in sein Auto, wir fuhren kilometerweit aus der Stadt, und dann kamen wir in eine riesige Hotelanlage, die ihm gehörte. Er gab mir einen Ball und sagte: Hier, du kannst die Kinder der Gäste am Strand trainieren. Dafür gebe ich dir Geld.

Sechs Jahre lang habe ich genau diese Arbeit gemacht und konnte lernen. 21 Euro habe ich am Tag verdient.

Wow. Ich glaube, es gibt nicht viele Menschen, die so viel Vertrauen haben.

Dabei hinterlässt du mit diesem Vertrauen tiefe Spuren. Eines Tages traf ich am Strand auf Raschid. Wir wurden Freunde, aber immer, wenn ich ihn besuchen wollte oder mich mehr mit ihm anfreunden wollte, stieß er mich weg. Dann gestand er mir schließlich: Barak, ich bin ein Dieb und schlechter Mensch. Ich hatte Angst, du würdest nicht mehr mein Freund sein, wenn du das über mich herausfindest. Auch hier hat mir mein Vertrauen wieder geholfen; ich denke, dass ich erkenne, was in den Menschen steckt. Ich wusste, dass Raschid ein guter Mensch ist. Also erklärte ich ihm, wie viel besser es sich anfühlt, nur das zu nehmen, was auch wirklich dir gehört. Ich habe ihm in den Monaten danach Schreiben und Lesen beigebracht. Zum ersten Mal konnte Raschid seinen Eltern einen Brief schreiben. Er wurde Fliesenleger. Heute sind wir noch immer in Kontakt.

Woher nimmst du diese innere Weisheit?

Mein Vater hat mich das gelehrt. Ich habe verinnerlicht, dass ich immer mehr geben werde, als ich nehme. Ich bin kein Mensch, der nur Ich-Bezogen handelt.

Du kamst dann 2001 nach Deutschland.

Richtig. Eigentlich wollte ich nach ja nach Kanada, doch dann erhielt ich kein Visum und verliebte mich zeitgleich in Marokko in eine deutsche Frau. Also ging ich für die Liebe nach Bad Segeberg. Auch hier half mir mein Vater, als ich ihn um Rat fragte. Er sagte: Wenn du sie aus ganzem Herzen liebst, ist dies dein richtiger Weg. Ich habe in Deutschland angefangen, als Krankenpfleger in der Herzchirurgie zu arbeiten.

Erinnerst du dich noch, wie ihr auf die Idee gekommen seid, Sahara Yoga zu entwickeln?

Mit jedem Jahr wurde es in der Klinik stressiger und auszehrender. Mir wurde klar, dass ich diese Arbeit nicht mehr in Vollzeit machen konnte, wenn ich gesund bleiben wollte. Wie soll ich schließlich ein guter Krankenpfleger sein, wenn ich selbst krank bin? Deswegen reduzierte ich meine Arbeitszeit. Viel Geld war mir nie wichtig, viel wichtiger finde ich, dass es mir gut geht und ich von ganzem Herzen sagen kann, dass ich glücklich bin. Ich weiß, was ich brauche und was meiner Seele wichtig ist: Ich brauche Zeit, um in die Wüste zu reisen. Ich möchte meine Familie sehen. Ich möchte Yoga und Reiki praktizieren, beides mache ich seit über 20 Jahren.
In mir wuchs der Wunsch, meine beiden Heimatländer, Marokko und Deutschland, zu verbinden, und diese Klarheit, die mir die Wüste schenkt, anderen zu zeigen. Also bin ich auf einem Kamel und mit etwas Proviant ganz allein tagelang durch die Dünen der Wüste gereist. In der Stille und der Ruhe der Sahara entstand meine Idee: Diese Welt muss ich meinen Freunden, meinen Kollegen aus der Klinik in Deutschland zeigen!

Und mit dieser klaren Vision bin ich zurück nach Deutschland gereist und habe Sahara Yoga gegründet, um Reisen in die Sahara anzubieten und die Lebenswelt meiner Familie anderen Menschen zugänglich zu machen. Das war vor etwa zehn Jahren.

Wenn du Sahara Yoga in drei Worten beschreiben würdest…

Feeling. Klarheit. Loslassen.

Warum ist die Wüste so ein wunderbarer Ort, um Yoga zu praktizieren?

Yoga braucht Stille, die es in der Wüste gibt. Die Wüste ist reine Energie. Gleichzeitig herrschen dort auch Wärme, Weite, Unendlichkeit. Eigentlich ist die Wüste allein schon Yoga!

Gleichzeitig lebt Sahara Yoga von der familiären Atmosphäre, die wir in Deutschland oft verlieren.

Es ist ein Ort des Nachdenkens für alle Teilnehmer. Sie erkennen, wie wichtig Zusammenhalt und Liebe sind; Werte, die auch das Yoga lehrt. Wenn wir diese Werte leben, verstehen wir, dass wir einander immer wieder verzeihen können und in Respekt und Menschlichkeit miteinander umgehen müssen.

Wie kann so eine Reise aussehen?

Die Teilnehmer der Reisegruppen kommen meistens entweder von überall aus Deutschland oder es handelt sich um eine feste Gruppe aus einer Yogaschule. Ayla kümmert sich vorab um die Organisation der Reisen und gibt allen Teilnehmern die wichtigsten Informationen. Jede der Reisen begleite ich dann persönlich, damit sich alle Reisenden wirklich gut aufgehoben und wohl fühlen.
Mit dem Flugzeug geht es nach Marrakech. Von dort werden wir abgeholt und fahren zur Wüste. Nach der ersten Nacht in einem Hotel satteln wir auf die Kamele um und reisen mit der Karawane tief hinein in die Sahara zum Wüstencamp meiner Familie. Dort verbringen wir mindestens sechs Tage inmitten der Magie der Wüste, abseits von unnötiger Kommunikation, von zu viel Handy und Internet und Reizen. Wir finden zurück zum Ursprung dessen, was uns ausmacht, kommen zur Ruhe, kommen bei uns an.
Von meiner Familie werden alle Reisenden in großen Zelten willkommen geheißen, es gibt alles, was man braucht und wir teilen offen: Jeder bekommt ein eigenes Bett, einen Tisch, Regale, es gibt Toiletten mit fließendem Wasser. Jeden Tag essen wir leckeres vegetarisches und veganes Essen, es gibt Tee. Abends können alle im Kreise der Familie zusammenkommen und am Lagerfeuer singen, meditieren, Musik machen oder die Sterne bewundern. Es ist mir wichtig, eine liebevolle Atmosphäre von Sicherheit zu schaffen.

Morgens werden die Gäste mit einem Gong geweckt, dann geht es in die erste Yogapraxis, abends folgt eine zweite. Und die Stunden dazwischen widmet jeder sich selbst. Es gibt Zeiten zum Schweigen, zum Wandern, zum In-Sich-Hören. Wer möchte, kann auch zu Massagen oder anderen Behandlungen zu meiner Schwester gehen, sie ist marokkanische Heilerin.

Wie verändern sich die Menschen, die die Wüste besuchen?

Es ist ein großer Unterschied, wie jemand kommt und wie er geht. Man besinnt sich auf das, was wirklich zählt. Die meisten, die zu uns kommen, sind zwischen 35 und 60 Jahren alt. Sie alle berichten, dass sie die Wüste als heiligen Ort wahrgenommen haben. So viele sagen, dass es die schönste Reise ihres Lebens war, sie wollen wiederkommen, machen sogar eine jährliche Tradition daraus. Die Reise wirkt in jedem weiter, der einmal hier war. Ich spüre, wie die Dankbarkeit aus allen Reisenden spricht. Genau so möchte ich unsere Botschaft in die Welt schicken. Wir schaffen Räume, in denen Menschen sich in ihrer FREUDE und LIEBE begegnen.

Wie praktizierst du diese Räume der Wüste in deinem Alltag in Deutschland?

Egal wo ich bin, fühle ich mich wie Zuhause. Überall und immer bin ich präsent. Ich bin immer DA. Mich stört die Umgebung nicht. Ich finde die Liebe zwischen Menschen toll, wenn man sich in Echtheit begegnet. Man bringt Freude ins Leben, wenn man echt ist. Das bringt Offenheit und Licht in meine Tage.

Das klingt so leicht bei dir — kann man denn sagen, dass eine Reise in die Wüste das Leben verändern kann? Was lehrt mich die Wüste über das Leben und das Reisen?

Klarheit kommt ins Leben. Du erfährst, wie du diese Liebe aus der Wüste mitnehmen kannst. Du wirst dankbar für dein Leben, dafür, einfach sein zu können. Du spürst, wie gut es dir eigentlich geht und wie du mit wenig glücklich sein kannst.
Viele Menschen lassen auch los, was ihr Leben davor beschäftigt hat, geben es in die Wüste ab. Wunden können sich lösen und heilen. Dein Herz wird offen. Ängste werden gelöst. Sehr überrascht sind viele über Marokko: Sie kommen mit vielen Vorurteilen über das Land, und dann erleben sie es ganz anders. Die Medien mögen etwas anderes sagen, aber für mich ist Marokko das Paradies. Die Menschen hier sind zufrieden und strahlen, obwohl sie so wenig haben. Nur mit Liebe kann man in diesen Zustand gelangen, davon bin ich überzeugt.

Zu diesen Themen gebe ich übrigens auch Kulturvorträge.

Was bedeutet achtsames Reisen für dich?

Offen sein. Andere akzeptieren, wie sie sind. Respektieren der Kultur, die es vor Ort gibt. Das erwarte ich aber auch von beiden Seiten, die sich begegnen. Dann Projekte zu unterstützen, die etwas für die Umwelt und das Land an sich tun. Länger an einem Ort verweilen.
Für die Wüste bedeutet das zum Beispiel, mindestens fünf Tage zu bleiben, um überhaupt anzukommen, keine unnötigen Quad- oder Motorradtouren über die aussterbenden Sanddünen zu unternehmen oder keine Wasserflaschen in die Wüste zu bringen. Ich habe mal eine Aktion gestartet, bei der wir 7.000 Plastikflaschen von Touristen in Müllsäcken eingesammelt haben. Ich wünsche mir, dass achtsames Reisen auch nachhaltiges Reisen bedeutet. In unserer Familie lebten früher zum Beispiel nur Nomaden, dann gründete mein Vater das Wüstendorf mit einer ersten Kanalisation, schuf ein erstes Oasensystem. Diese Achtsamkeit für die Umwelt und gleichzeitig nachhaltigen Tourismus möchte ich weitergeben. Die Sahara ist kein Ort für Menschen, die für ein Foto für ihren Facebook-Account machen und gleich wieder verschwinden wollen.

Bei Sahara Yoga bietet ihr nicht nur Reisen in die Wüste an, ihr kümmert euch auch um die Kinder von Merzouga.

Wir haben viele Projekte in Marokko. Bis zum Jahresende 2019 haben wir neun Vorschulklassen eingerichtet, in denen Kinder lernen können, deren Eltern sie nicht unterstützen können. In den Räumen betreuen Lehrer aus Marokko die 30 bis 40 Kinder pro Klasse, bereiten sie auf die richtige Schule vor und helfen ihnen auch mit Hausaufgaben. Man kann also sagen, dass über 300 Kinder von Sahara Yoga profitieren. Und es geht weiter: Da wir bisher über 500 Palmen gepflanzt haben, wird die Oase immer grüner, das Wasser kann fließen. So leisten wir unseren Beitrag für die Umwelt. Wir haben Glück, diesen perfekten Ort für die Pflanzungen zu haben, auch wenn alles sehr langsam läuft. Aber das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

Wie sehen deine Wünsche für die Zukunft von Sahara Yoga aus?

Ich möchte einfach so weitermachen. Mit dem Vertrauen in diesen Fluss meines Lebens. Gemeinsam wollen wir noch mehr Räume schaffen, wo sich Menschen in Freude und Liebe und Echtheit begegnen. Auch wünsche ich mir, dass mehr Menschen erkennen, dass wir unseren Planeten retten können, wenn wir zusammenhalten und jeder etwas tut. Jeder kann seinen Teil leisten. Es wäre wunderbar, wenn das eine Richtung ist, die wir alle erkennen, denn so wie jetzt funktioniert es ja nicht mehr. Wir sollten mehr nachdenken, um zu verstehen. Unsere Welt braucht solche Menschen, die geerdet sind und zu sich selbst kommen, sich nicht mehr verloren fühlen. Sie sollen sie selbst sein, liebevoll, geduldig. Oft stehen wir uns nämlich selbst im Weg.

Und natürlich möchte ich weiter helfen und meine Projekte rund um Sahara Yoga ausbauen. Erst neulich habe ich über meine Facebook-Spendenaktion „Wasser für Alle“ Geld gesammelt, damit wir in der Sahara einen Schlauch anlegen können, der zwei Wasserbrunnen so verbindet, dass die Nomaden der Wüste sich aus diesem Schlauch kostenlos ihr Wasser abzapfen können.
Mein Vater Hssaïn sagte mal: Barak, wenn Du einen Graben gräbst und Wasser findest, dann trinke nicht alleine aus diesem Brunnen. Lass alle anderen auch trinken. Dann wird das Wasser immer fließen.

Wissenswertes

Du willst mehr über Barak und Sahara Yoga erfahren?

Hier geht es zur Webseite von Sahara Yoga. Du erfährst mehr über das Wüstencamp der Familie Oussidi, über die nächsten anstehenden Reisen in die Wüste und die Projekte rund um Sahara Yoga.
Die Facebook-Seite von Barak findest du hier https://www.facebook.com/SaharaYoga/, auf Instagram kannst du ihn unter @sahara_yoga in die Wüste begleiten.

Zusammen mit seiner Partnerin Ayla ist Barak auch Gründer des Kieler Yoga Festivals. Dieses zweite Herzensprojekt bringt die Magie der Wüste nach Kiel an den Strand. Das Festival ist Deutschlands erstes Yogaevent am Meer. So teilen die beiden mit dem Festival die familiäre Energie von Sahara Yoga mit ihren Freunden in Norddeutschland. Beim Festival ist jeder willkommen.

Die Webseite des Kieler Yoga Festivals findest du unter https://kieler-yogafestival.de. Die Daten für 2020 stehen bereits fest: Vom 11. Juni bis zum 14. Juni 2020 kannst du wieder am Falckensteiner Strand das Festival besuchen, bunte Yogastunden mitmachen und neue Menschen kennenlernen, die die Liebe zum Yoga teilen. Übernachtungsmöglichkeiten sind vor Ort vorhanden, auch für Familien mit Kindern. Buche deine Tickets rechtzeitig!